OLG Hamm, Beschl. v. 10.12.2018 – II-9 WF 218/18
01 | JAN 2020 7
Entscheidungen
I. Der Fall
Die Antragstellerin war mit dem Antragsgegner von 1988 bis 2010 verheiratet und verlangt nunmehr von diesem die Zahlung nachehelichen Unterhalts. Durch Vergleich kamen die Beteiligten erstinstanzlich dahingehend überein, dass der Antragsgegner der Antragstellerin für die Zeit bis 31.12.2017 nachehelichen Unterhalt i.H.v. 150 EUR monatlich bezahlt. Für den anschließenden Zeitraum sollte der Unterhaltsanspruch neu berechnet werden, wobei dem Antragsgegner der Einwand des § 1578b BGB vorbehalten bleiben sollte. In 04/2018 machte die Antragstellerin einen Stufenantrag anhängig, mit dem der Antragsgegner zu Erteilung von Auskünften über seine Einkommensverhältnisse, nötigenfalls zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung sowie zur Zahlung laufenden Unterhalts ab 04/2018 in noch zu beziffernde Höhe sowie zur Zahlung rückständigen Unterhalts für den Zeitraum von 01 bis 03/2018 in ebenfalls noch zu beziffernde Höhe verpflichtet werden sollte. Das erstinstanzliche Gericht wies den Antrag der Antragstellerin zurück. Die durch die Antragstellerin bezifferte Unterhaltshöhe liege zum einen unterhalb der „Bagatellgrenze“ von 50 EUR und unterschreitet darüber hinaus die in der Rechtsprechung diskutierten prozentualen Grenzwerte für die Geringfügigkeit, indem sie 10 % des nach Abzug des Erwerbs Anreiz des verbleibenden Gesamteinkommens beider Eheleute (OLG Koblenz FamRZ 2006, 704), 10 % des bereinigten Einkommens des Bedürftigen ohne Abzug des Erwerbsanreizes (OLG München FamRZ 2004, 1208) und 4 % des bereinigten Einkommens des Bedürftigen ohne Abzug des Erwerbsanreizes liegt. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit der Beschwerde.
II. Die Entscheidung
Das OLG Hamm hält die Beschwerde für unbegründet. Es schließt sich der – anderen – Auffassung an, dass zur Beurteilung des Geringfügigkeit zusätzlich auf eine Gesamtschau der konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse der unterhaltsbedürftigen Beteiligten abzustellen und eine Ausgleichsbedürftigkeit selbst bei geringer Einkommensdifferenz zu bejahen sei, wenn und soweit der Beteiligte in sehr engen finanziellen Verhältnissen lebe. Solche beengten Verhältnisse müssten bei einem – teilweise fiktiven – Einkommen des Bedürftigen in Höhe von monatlich 995 EUR bejaht (OLG Karlsruhe FamRZ 2010, 1082), bei einem verbleibenden bereinigten Einkommen i.H.v. 1.150 EUR monatlich hingegen verneint werden (OLG Hamm FamRZ 2012, 234).
Im vorliegenden Fall verfüge die Antragstellerin über monatliche Einkünfte in Höhe von insgesamt 1.257,92 EUR. Dieses Einkommen übersteige nicht nur den notwendigen Selbstbehalt erwerbstätiger Personen von 1.080 EUR, sondern es liege auch oberhalb dessen, was in den zitierten Entscheidungen des OLG Karlsruhe als auch des OLG Hamm als „beengte finanzielle Verhältnisse“ diskutiert worden sei. Auch das Argument der Antragstellerin, das für 2019 beschlossene Rentenpakete der Bundesregierung solle niedrige Einkommen unterhalb von 1.300 EUR monatlich privilegieren, verfange nicht.
Nach Auffassung des OLG Hamm rechtfertige die angestrebte Privilegierung niedriger Einkommen unterhalb von 1.300 EUR monatlich keine abweichende Entscheidung, denn das Einkommen der Antragstellerin liege immerhin an der Obergrenze des Übergangsbereich von 850 bis 1.300 EUR, indem die sogenannte „Midi-Jobber“ Konkrete wirtschaftliche Verhältnisse der unterhaltsbedürftigen Beteiligten Notwendiger Selbstbehalt
Midi-Jobber
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lediglich geringere Beiträge zur Sozialversicherung zahlen sollten. Im Übrigen weist das OLG Hamm darauf hin, dass die Differenz noch geringer ausfallen werde, wenn mit dem Rentenpaket der Bundesregierung künftig finanzielle Erleichterungen der Antragstellerin verbunden sein sollten.
III. Der Praxistipp
Das Argument der Geringfügigkeit des Unterhaltsanspruches im Rahmen des Aufstockungsunterhalts nach § 1573 Abs. 2 BGB begegnet dem Praktiker immer wieder. Die vorliegende Entscheidung bietet sowohl für den anwaltlichen Vertreter des Anspruchsinhaber als auch des Anspruchsgegners eine konkrete Argumentationshilfe, indem die prozessualen Grenzwerte für die Geringfügigkeit, nämlich
10 % des nach Abzug des Erwerbsanreizes verbleibenden Gesamteinkommens beider Eheleute,
10 % des bereinigten Einkommens des Bedürftigen ohne Abzug des wirksamen Reizes,
4 % des bereinigten Einkommens des Bedürftigen ohne Abzug des Erwerbsanreizes, und nach Auffassung des OLG Hamm zusätzlich
Gesamtschau der konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse der unterhaltsbedürftigen Partei (Stichwort: „Sehr enge finanzielle Verhältnisse“) systematisch als auch dogmatisch herausgearbeitet und dargestellt werden. Entscheidungen Zu den prozessualen und materiellrechtlichen Anforderungen für einen Abänderungsantrag Zur Substantiierung eines Abänderungsantrags kann sich der Antragsteller nicht selektiv auf einen einzelnen Umstand beschränken.