Staaten sind nicht verpflichtet, ein drittes Geschlecht in die Geburtsurkunde einzutragen. Das
kann dem Gesetzgeber nicht vorgeschrieben werden, entschied der EGMR in einem
französischen Fall. Die Diskrepanz zwischen der biologischen und der rechtlichen Identität ist
grundsätzlich geeignet, Personen Leid und Angst zuzufügen. Auf der anderen Seite ist den
Argumenten der nationalen, in diesem Fall französischen Behörden, der Vorzug zu geben. Das
französische Recht sei auf der Grundlage von zwei Geschlechtern aufgebaut. Die gerichtliche
Anerkennung eines “neutralen” Geschlechts hätte somit weitreichende Folgen für das
französische Rechtssystem. Gesetzesänderungen würden erforderlich, die Anerkennung eines
dritten Geschlechts könne daher ausschließlich durch den Gesetzgeber und nicht durch die
Justiz erfolgen. Das gebiete zumindest der Grundsatz der Gewaltenteilung. In Europa herrscht
über diese Frage kein Konsens.
Az 76888/17 Urteil vom 31.1.2023