Kindergeldberechtigung bei paritätischen Wechselmodel

1. August 2024
  1. Das Verfahren nach § 64 Abs. 2 S. 3 EStG betrifft nicht die Festlegung,
    welchem Elternteil das Kindergeld letztlich zusteht. Es dient nur der Verwal-
    tungsvereinfachung dahingehend, dass für die Familienkasse die Bezugsbe-
    rechtigte eindeutig feststeht.
  2. Bieten bei gemeinsamer elterlicher Sorge und bei Betreuung des Kindes
    in einem paritätischen Wechselmodell beide Elternteile gleichermaßen die
    Gewähr dafür, dass das Kindergeld zum Wohle des Kindes verwendet wird,
    kommt dem Kontinuitätsgesichtspunkt maßgebliche Bedeutung zu und be-
    steht im Regelfall keine Veranlassung, die bislang praktizierte Handhabung
    abzuändern.
    OLG Hamm, Beschl. v. 29.8.2023 – II-4 WF 104/23

I. Der Fall
Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind rechtskräftig geschiedene Eheleute.
Aus der Ehe ist der gemeinsame Sohn E., geboren 2012, hervorgegangen. Das Kind
wird von den Beteiligten im paritätischen Wechselmodell betreut.
Zunächst wurde das Kindergeld für E. an die Antragstellerin gezahlt. Im Frühjahr 2023
begehrte der Antragsgegner bei der Familienkasse die Auszahlung des Kindergeldes
an sich. Dem widersprach die Antragstellerin. Daraufhin stellte die Familienkasse die
Zahlung des Kindergeldes bis zur Klärung der Bezugsberechtigung ein.
Durch Schriftsatz vom 11.4.2023 hat die Antragstellerin den Antrag gestellt, sie
gemäß § 64 EStG als Bezugsberechtigte des Kindergeldes zu bestimmen. Der
Antragsgegner hat die Zurückweisung des Antrages beantragt und darauf verwiesen,
dass die Antragstellerin ihm das hälftige Kindergeld vorenthalte. Durch den ange-
fochtenen Beschluss hat das Amtsgericht die Antragstellerin zur Berechtigten
bestimmt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Werde das Kind im paritätischen
Wechselmodell betreut, gelte es als in den Haushalt beider Eltern aufgenommen. Die
Bezugsberechtigung richte sich in diesem Fall nach dem Kindeswohl. Böten – wie hier
– beide Eltern die Gewähr dafür, dass das Kindergeld zum Wohle des Kindes verwen-
det werde, bestehe wegen des Kontinuitätsgedankens keine Veranlassung, die
bisherige Berechtigung der Antragstellerin abzuändern.
Dagegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde. Er verweist weiter
darauf, dass ihm die Antragstellerin den Zugang zum hälftigen Kindergeld verwehre.

Dadurch sei die finanzielle Versorgung des Kindes eingeschränkt. Der Antragsgegner
habe neben seiner (neuen) Ehefrau drei weitere Kinder zu versorgen. Er sei daher auf
das Kindergeld für seinen Sohn E. angewiesen.
II. Die Entscheidung
Die Beschwerde ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthaft, aber unzulässig. Insofern
führt der Senat aus:
1.
[Ausführungen zur Zulässigkeit des Rechtsmittels]

  1. Im Übrigen wäre die Beschwerde aber auch unbegründet.
    Das Amtsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass § 64 Abs. 2 S. 3 EStG keine Regelung
    darüber trifft, nach welchen Kriterien über die Bezugsberechtigung zu entscheiden
    ist. Dessen ungeachtet ist anerkannt, dass Maßstab hierfür das Kindeswohl ist (vgl.
    nur KG, Beschl. v. 26.8.2019 – 13 WF 69/19, NJW-RR 2019, 1412).
    Ebenso zutreffend hat das Amtsgericht darauf abgestellt, dass hier nichts dafür
    ersichtlich ist, dass das Kindergeld bei der Antragstellerin nicht zum Wohle des
    Kindes verwendet würde. Auch in seiner Stellungnahme vom 7.8.2023 bringt der
    Antragsgegner dazu nichts vor. Bieten wie hier bei gemeinsamer elterlicher Sorge und
    bei Betreuung des Kindes in einem paritätischen Wechselmodell beide Elternteile
    gleichermaßen die Gewähr dafür, dass das Kindergeld zum Wohle des Kindes verwen-
    det wird, kommt dem Kontinuitätsgesichtspunkt maßgebliche Bedeutung zu und
    besteht im Regelfall keine Veranlassung, die bislang praktizierte Handhabung
    abzuändern (vgl. KG, a.a.O.).
    Dem kann der Antragsgegner nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass er neben E. noch
    drei weitere Kinder und seine jetzige Ehefrau finanziell zu versorgen habe und dass er
    deshalb auf das hälftige Kindergeld angewiesen sei. Wie schon ausgeführt trifft das
    Verfahren nach § 64 Abs. 2 S. 3 EStG ohnehin keine Aussage über die materielle
    Berechtigung hinsichtlich des Kindergeldes. Es ist dem Antragsgegner wie dargelegt
    unbenommen, diesen Anspruch auf das hälftige Kindergeld entweder bei der
    Bemessung des durch ihn zu zahlenden Kindesunterhaltes oder als selbstständigen
    Anspruch gegen die Antragstellerin geltend zu machen. Die Antragstellerin hat
    mehrfach unwidersprochen darauf verwiesen, dass das Einkommen des Antragsgeg-
    ners ihr eigenes Einkommen deutlich übersteige. Danach kommt in Betracht, dass der
    Antragsgegner – trotz des praktizierten paritätischen Wechselmodells – nach den
    vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen (Beschl. v. 11.1.2017 – XII ZB
    565/15, FamRZ 2017, 437) Barunterhalt für das Kind schuldet. Selbst wenn das nicht
    der Fall sein sollte, könnte der Antragsgegner den Anspruch auf das hälftige Kinder-
    geld wie schon dargelegt als selbstständigen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch
    verfolgen. Auf Einzelheiten dazu kommt es aber hier nicht an. Denn für das rein
    formale Verfahren über die Bestimmung der Bezugsberechtigung nach § 64 Abs. 2
    S. 3 FamFG sind diese Gesichtspunkte ohnehin unmaßgeblich. Der finanzielle
    Ausgleich zwischen den Eltern in Sachen des Kindesunterhaltes – und damit in
    materieller Hinsicht auch wegen des Kindergeldes – ist allein Sache des Unterhalts-
    rechts (KG, Beschl. v. 26.8.2019 – 13 WF 69/19, NJW-RR 2019, 1412).

III. Der Praxistipp
Mit seinen Ausführungen zur Unbegründetheit des Rechtsmittels gibt das OLG Hamm
bei Vorliegen eines paritätischen Wechselmodell dem Praktiker eine taugliche
Antwort auf die Frage seiner Mandantschaft „warum bekommt er/sie das Kindergeld
und nicht ich?“ an die Hand.