OLG Brandenburg: Antrag auf Zahlung Mehrbedarf beim Wechselmodell

30. Januar 2023
  1. Besteht ein echtes Wechselmodell, muss für das Kind, das Kindesunterhalt
    geltend macht, ein Ergänzungspfleger bestellt werden.
  2. Der Mehrbedarf kann neben der bestehenden Titulierung des Tabellenunterhalts
    durch gesonderten Antrag auf Zahlung geltend gemacht werden.
  3. Für den Mehrbedarf haften die Eltern nach § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB anteilig
    nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen.
  4. Die Haftungsquote der Eltern folgt den Grundsätzen für die Berechnung
    des Volljährigenunterhalts.
    OLG Brandenburg, Beschl. v. 8.11.2022 – 13 UF 24/21

I. Der Fall
Der Antragsgegner wendet sich gegen die Verpflichtung zur Zahlung anteiligen
Schulgeldes an den Antragsteller, seinen in 2013 geborenen Sohn, der zunächst
überwiegend von seiner Mutter und seit 02/2021 im Wechselmodell von beiden
Eltern betreut wird.
Der Antragsteller besuchte von 08/2019 bis 01/2021 auf der Grundlage eines von
beiden Elternteilen unterzeichneten Vertrages eine private Grundschule, für deren
Kosten seine Mutter, unter Inanspruchnahme eines Rabatts das Schulgeld für das
Schuljahr 2019/2020 in Höhe von 4.845,80 EUR am 1.8.2019 im Voraus zahlte. Hierin
war ein Verpflegungsanteil von 780 EUR enthalten. Mit vorgerichtlichem Anwaltsschreiben
ließ die Mutter des Antragstellers den Antragsgegner auffordern, sich
hälftig am Schulgeld, nämlich mit einem Betrag i.H.v. 205 EUR monatlich, zu beteiligen.
Zu dieser Zeit zahlte er bereits Kinderunterhalt entsprechend der höchsten
Einkommensstufe. Das Schulgeld hat das Amtsgericht nach Abzug des Verpflegungsanteils
als Mehrbedarf von in Höhe von 4.065 EUR eingestuft, von dem der Antragsgegner
95 % zu tragen habe.
Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde, mit der er geltend
macht, das Amtsgericht sei schon nicht zuständig gewesen, denn es handele sich bei
dem geltend gemachten Gesamtschuldnerausgleich nicht um eine Familiensache,
sondern um eine Zivilsache. Auch habe das Amtsgericht verkannt, dass das Kind nicht
Antragsteller im Verfahren sei, sondern seine Mutter. Die Mutter des Antragstellers
könne mit Blick auf das seit 02/2021 praktizierte Wechselmodell diesen im Beschwerdeverfahren
nicht mehr vertreten. Zudem habe das Schulgeld, bei dem es sich
mangels Notwendigkeit des Besuchs einer Privatschule nicht um Mehrbedarf
handele, als Abänderungsantrag geltend gemacht werden müssen, da Kindesunterhalt
bereits tituliert sei. Dass er, der Antragsgegner, den Schulvertrag unterzeichnet
habe, bedeute nicht, dass er für die daraus entstehenden Mehrkosten zu haften habe.
Schließlich habe das Amtsgericht das Einkommen der Mutter des Antragstellers zu
niedrig angesetzt. Diese verfüge über das Vierfache des Einkommens des Antragsgegners.
Mit Beschl. v. 14.10.2021 hat das Amtsgericht für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen
des Kindes Ergänzungspflegschaft angeordnet und das Jugendamt des Landkreises … zum Ergänzungspfleger bestellt.

II. Die Entscheidung
Das OLG Brandenburg hat insoweit der zulässigen Beschwerde teilweise Erfolg
zugesprochen. Im Einzelnen führt es zur Begründung folgendes aus:

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  1. Die gemäß § 58 FamFG statthafte Beschwerde ist auch mit Blick auf das nach der
    erstinstanzlichen Entscheidung zwischen den Eltern geübte Wechselmodell zulässig.
    Zwar ist in Fällen des paritätischen Wechselmodells kein Elternteil befugt, in alleiniger
    Vertretung des Kindes dessen Unterhaltsanspruch gegen den anderen Elternteil
    geltend zu machen, denn in diesen Fällen betreuen beide das Kind und eine alleinige
    Obhut i.S.d. § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB besteht nicht, sodass die Mutter den Antragsteller
    in diesem Verfahren nicht mehr allein vertreten kann. Allerdings ist dieser Mangel in
    Folge des Beschlusses des Amtsgerichts Strausberg vom 14.10.2021 nunmehr durch
    die Vertretung des Antragstellers durch das Jugendamt als Ergänzungspfleger
    behoben. Auch Bedenken in Bezug auf die Postulationsfähigkeit gemäß § 114 FamFG
    bestehen insoweit nicht, da der Antragsteller durchgängig durch einen postulationsfähigen
    Rechtsanwalt als Verfahrensbevollmächtigten vertreten wird.
  2. Die Beschwerde hat in der Sache allerdings nur teilweise Erfolg.
    a) Soweit die Beschwerde die erstinstanzliche Unzuständigkeit des angerufenen
    Familiengerichts rügt, gilt § 65 Abs. 4 FamFG. Danach kann die Beschwerde nicht
    darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszugs seine Zuständigkeit
    zu Unrecht angenommen hat.
    b) Ebenfalls unschädlich ist der Umstand, dass in den Schriftsätzen der Antragstellerseite
    nicht durchweg klar wird, dass nicht die Mutter, sondern das Kind Antragsteller
    im Verfahren ist. Maßgeblich ist die Parteienbezeichnung im Rubrum und der Antrag,
    der darauf gerichtet ist, Zahlung an den Antragsteller zu Händen seiner Mutter zu
    leisten.

c) Die hier streitigen Kosten eines privaten Schulbesuchs sind unterhaltsrechtlich als
Mehrbedarf zu qualifizieren. Mehrbedarf ist der Teil des Lebensbedarfs, der regelmäßig
während eines längeren Zeitraums anfällt und das Übliche derart übersteigt, dass
er beim Kindesunterhalt mit den Tabellensätzen nicht oder nicht vollständig erfasst
werden kann, andererseits aber kalkulierbar ist. Der Antrag auf Zahlung von Mehrbedarf
ist – wie hier – als Leistungsantrag statthaft. Beim Kindesunterhalt ist der
Zusatzantrag für einen Mehrbedarf neben der bestehenden Titulierung des Tabellenunterhalts
zulässig, weil der Barunterhaltsbedarf des Kindes auch bei günstigen
Einkommensverhältnissen von vornherein nicht den Betreuungs- und Erziehungsbedarf
des Kindes erfasst, hierfür vielmehr zusätzliche Mittel zu veranschlagen sind.
Die Frage der Notwendigkeit des Besuchs einer Privatschule stellt sich entgegen der
Auffassung des Antragsgegners nicht, denn mit der Unterzeichnung des Schulvertrages
hat er dem Besuch bereits vorbehaltlos zugestimmt. Der mit dieser Grundentscheidung
einverstandene Antragsgegner muss dann auch die Rechtsfolgen tragen,
die losgelöst von der mangels Vertragspartnerschaft tatsächlich im Außenverhältnis
nicht bestehenden Schuldverpflichtung gegenüber dem Schulträger einzig nach den
dafür – unterhaltsrechtlich – geltenden Maßstäben zu beurteilen sind.
Der Mehrbedarf beläuft sich im Schuljahr 2019/2020 auf einem Betrag in Höhe von
4.065,80 EUR.
Am Mehrbedarf muss sich grundsätzlich auch der Elternteil beteiligen, der ein
minderjähriges Kind betreut und dadurch regelmäßig nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB
seine Unterhaltspflicht erfüllen würde, wenn er über Einkünfte verfügt, insbesondere wenn er erwerbstätig ist oder ihn eine Erwerbsobliegenheit trifft. Nach § 1606 Abs. 3
Satz 1 BGB haften die Eltern insoweit nicht als Gesamtschuldner, sondern anteilig
nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen. Für den in der Vergangenheit
liegenden Mehrbedarf im Jahr 2019 ist mangels Prognosebedarfs der einjährige
Jahresdurchschnitt der Einkommen der Eltern in diesem Jahr maßgeblich. Für den
Mehrbedarf in 2020 schreibt der Senat mangels anderweitiger Anhaltspunkte das
Einkommen aus 2019 fort. Das Einkommen der Eltern des Antragstellers in 2019 stellt
sich wie folgt dar:
Einkommen der Mutter des Antragstellers:
[Berechnung des Einkommens der Mutter des Antragstellers, ergibt monatlich
gerundet 2.864 EUR]
Einkommen Antragsgegner:
[Berechnung des Einkommens des Antragsgegners, ergibt monatlich gerundet
6.235 EUR]
Die Haftungsverteilung folgt den Grundsätzen für die Berechnung der Haftungsanteile
des Volljährigenunterhalts. Vor der Gegenüberstellung der jeweiligen Einkommen
ist bei jedem Elternteil ein Sockelbetrag in Höhe des angemessenen Selbstbehalts
abzuziehen. Bei der Berechnung der jeweiligen Haftungsanteile ist zu beachten, dass
das Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils bei der Ermittlung der
vergleichbaren Einkünfte im Rahmen der Haftungsanteilsberechnung vorab um den
geschuldeten Barunterhalt zu bereinigen ist. Entsprechend sind in die Berechnung
der Quote auf Seiten der Mutter der in 2019 geltende Selbstbehalt von 1.300 EUR
vom dargestellten Einkommen abzuziehen, sodass sich ein Betrag von 1.564 EUR
ergibt.
Das Einkommen des Antragsgegners ist zusätzlich um den Barunterhalt der höchsten Einkommensstufe, den der Antragsgegner leistet, zu bereinigen. Der Zahlbetrag
betrug in 2019 für den in geborenen Antragsteller bis einschließlich 02/2019 in der
ersten Altersgruppe 470 EUR, von 03 bis 06/2019 in der zweiten Altersgruppe
553 EUR und ab 07/2019 548 EUR. Entsprechend erfolgt die Quotierung in 01 und
02/2019 nach einem Einkommen von 4.465 EUR (6.235 EUR – 1.300 EUR – 470 EUR),
von 03/2019 bis 06/2019 von 4.382 EUR und ab 07/2019 von 4.387 EUR.
Der Haftungsanteil des Antragsgegners beträgt in allen Zeitabschnitten gerundet
74 %. Zwar haben sich in 2020 der angemessene Selbstbehalt auf 1.400 EUR und der
Kindesunterhalt in der höchsten Einkommensgruppe und 2. Altersstufe auf 577 EUR
erhöht. Dies wirkt sich auf das rechnerisch ermittelte und auf volle Prozent gerundete
Ergebnis aber nicht aus. 74 % vom Mehrbedarf in Höhe von 4.065,80 EUR ergeben
einen Betrag von gerundet 3.009 EUR.
Mehrbedarf für die Vergangenheit – hier 08 und 09/2019 – kann allerdings nur unter
den Voraussetzungen von § 1613 BGB gefordert werden, also nur, wenn der Unterhaltspflichtige
vor dem Anfall der Kosten zur Auskunft aufgefordert oder in Verzug
gesetzt worden ist. Mangels vorgerichtlichen Auskunftsverlangens oder Mahnung
kann der Antragsteller Zahlung erst ab Rechtshängigkeit, mithin ab 09/2019, nicht
hingegen für 08/2019. 1/12 von 3.009 EUR betragen 250,75 EUR, sodass der
Anspruch auf Mehrbedarf insgesamt 2.758,25 EUR (250,75 EUR x 11) beträgt.

III. Der Praxistipp
Die vorliegende Entscheidung des OLG Brandenburg vom 8.11.2022 beschäftigt sich
mit der Thematik Haftung für Mehrbedarf bei Bestehen eines – echten – Wechselmodells.

Zur Geltendmachung von Kindesunterhalt, somit auch von Mehr- bzw. Sonderbedarf,
ist die Bestellung eines Ergänzungspflegers erforderlich, da eine alleinige Obhut im
Sinne des § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB nicht besteht (vergleiche BGH FamRZ 2014, 917).
Die Qualifizierung des Besuchs einer Privatschule und der damit einhergehenden
Kosten als Mehrbedarf ist unproblematisch, da diese Kosten regelmäßig während
eines längeren Zeitraums anfallen und das Übliche derart übersteigen, dass dieser
Betrag beim Kindesunterhalt mit den Tabellensätzen nicht oder nicht vollständig
erfasst werden kann, andererseits aber kalkulierbar ist (= „Mehrbedarf“). Die Frage der
Notwendigkeit des Mehrbedarfs, welche sich regelmäßig stellt, muss in den Fällen
nicht beantwortet werden, in denen der Unterhaltsschuldner z.B. durch Unterzeichnung
einer Anmeldung, eines Vertrages oder ähnlichem dem Entstehen des Mehrbedarfs
grundsätzlich zugestimmt hat.
Für den Mehrbedarf haften die Eltern, also sowohl der betreuende als auch barunterhaltspflichtige
Elternteil, anteilig im Verhältnis ihrer Einkünfte (§ 1606 Abs. 3 S. 1
BGB). Die Haftungsverteilung hat entsprechend den Grundsätzen für die Berechnung
der Haftungsanteile für den Unterhaltsanspruch eines volljährigen Kindes gegenüber
seinen Eltern zu erfolgen. Von den jeweiligen unterhaltsrechtlich relevanten Einkünften
ist bei jedem Elternteil ein Sockelbetrag in Höhe des angemessenen Selbstbehalts
(BGH FamRZ 2013, 1563) sowie beim barunterhaltspflichtigen Elternteil der monatliche
Zahlbetrag in Abzug zu bringen. So ergibt sich die Haftungsquote des jeweiligen
Elternteils.