1. Zur Zulässigkeit eines Antrags im Vereinfachten Verfahren, mit dem die Unterhaltsvorschusskasse aufgrund erbrachter Leistungen auf sie übergegangene Unterhaltsansprüche geltend macht, diese Leistungen jedoch erst nach der bis 2017 geltenden Leistungsdauer erbracht wurden, jedoch für die Zeit davor ein Unterhaltstitel vorlag.
2. Hat das einen Unterhaltsvorschuss leistende Land vor dem Jahr 2017 bereits eine Festsetzung des übergegangenen Unterhalts gegen den barunterhaltspflichtigen Elternteil erlangt, aus der es nach damaliger Rechtslage wegen Ausschöpfung der Höchstdauer von 72 Monaten bzw. des Erreichens des damals geltenden Höchstalters des Kindes selbst keine Rechte mehr herleiten konnte und nimmt das Land – nach gesetzlicher Ausweitung der Leistungsdauer – seine Leistungen wieder auf, kann es für diese Leistung keinen neuen Titel im vereinfachten Verfahren geltend machen.
3. Der vormals bestehende alte Titel kann analog § 727 ZPO auf das berechtigte Kind umgeschrieben werden, sodass insoweit unverändert ein zur
Zwangsvollstreckung geeigneter Titel über den Kindesunterhalt vorliegt.
OLG Celle, Beschl. v. 25.9.2020 – 10 UF 164/20
I. Der Fall
Das Jugendamt erbrachte für die in 2005 bzw. 2003 geborenen minderjährigen und im Haushalt der Mutter lebenden Kinder des Antragsgegners seit 2011 Leistungen nach dem UVG. Die Unterhaltsansprüche sind auf das durch das örtliche Jugendamt vertretene Land übergegangen.
Durch Unterhaltsfestsetzungsbeschlüsse jeweils vom 24.10.2011 wurde die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung des Mindestunterhalts abzüglich des vollen Kindergeldes jeweils festgesetzt, wobei die Festsetzung unter der Bedingung tatsächlicher Leistungserbringung nach dem UVG längstens bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres des jeweiligen Kindes und insgesamt für höchstens 72 Monate erfolgt ist. Nachdem weitere Unterhaltsvorschussansprüche der beiden minderjährigen Kinder entsprechend der damals geltenden Rechtslage wegen Erreichens der Höchst-bezugsdauer von 72 Monaten entfallen waren, leistet das Land nunmehr nach Änderung der Rechtslage für die Zeit seit 07/2017 für beide minder-jährigen Kinde erneut Unterhaltsvorschuss. Es begehrt mit Anträgen jeweils vom 29.10.2019 im Vereinfachten Verfahren die erneute Unterhalts-festsetzung für sich hinsichtlich der seit 07/2017 aufgelaufenen Rückstände sowie des zukünftigen Unterhalts i.H.v. 100 % des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe abzüglich des vollen Kindergeldes.
Das Gericht der 1. Instanz hat die Anträge als unstatthaft zurückgewiesen, da das Vereinfachte Verfahren nicht stattfinde, wenn zum Zeitpunkt der Zustellung des Antrags an den Antragsgegner über den Unterhaltsanspruch des Kindes ein Gericht entschieden hat, ein gerichtliches Verfahren anhängig oder ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Schuldtitel errichtet worden ist, und somit das Vereinfachte Verfahren allein für die erstmalige Festsetzung des Unterhalts infrage komme. Schließlich würden das stark schematisierte und auf einen schnellen Abschluss gerichtete besondere Verfahren der Unterhaltsfestsetzung sowie der dadurch dort eng begrenzten Prüfungsumfang es insbesondere nicht zulassen, inzidenter über die
etwaige Fortgeltung eines früheren Titels zu befinden.
Gegen diese Entscheidung hat das Land, vertreten durch das örtliche Jugendamt, Beschwerde eingelegt, mit welcher an dem Ziel der Unterhaltsfestsetzung im Vereinfachten Verfahren festgehalten und das Vorliegen der als solches nicht in Zweifel gezogenen Ausschluss-voraussetzungen und den Umständen des Streitfalls für nicht gegeben gehalten wird.
II. Die Entscheidung
Nach Auffassung des OLG Celle hat die zulässige Beschwerde jedoch keine Erfolgsaussichten. Die Beschwerdeinstanz schließt sich den erstinstanzlichen Ausführungen insoweit an, als es bestätigt, dass das Vereinfachte Verfahren gemäß § 249 Abs. 2 FamFG nicht eröffnet sei bei einer bereits – bei Rechtshängigkeit des Antrags – bestehenden Titulierung über den nämlichen Kindesunterhalt, sowie dass dies auch diejenigen
Fälle einschließe, in denen im Rahmen des Vereinfachten Verfahrens inzidenter über eine etwaige Fortgeltung eines früheren Titels entschieden werden müsse.
Die weitere rechtliche Annahme in erster Instanz, dass eine derartige Ausgangslage nicht vorgelegen habe, sei jedoch unzutreffend. Nach Auffassung des OLG Celle komme es nicht entscheidend auf die Frage an, ob der 2012 ergangene Festsetzungsbeschluss den Unterhaltsanspruch der beiden minderjährigen Kinder noch im Verhältnis zugunsten des Landes tituliert habe oder ob dies zweifelsfrei wegen Ausschöpfung der damals geltenden Rechtslage mit einer Höchstdauer des Unterhaltsvorschusses von 72 Monaten nicht mehr der Fall sei. Jedenfalls könne nach der Rechtsprechung des BGH ein zugunsten eines Unterhaltsvorschuss leistenden Trägers errichteter Unterhaltstitel der auch vorliegend 2012 errichteten Art für die Zeit nach Einstellung der Unterhaltsvorschussleistungen im Wege analoger Anwendung des § 727 ZPO auf das unterhaltsberechtigte Kind umgeschrieben werden (BGH FamRZ 2015, 2150).
Daher liege in den Unterhaltsfestsetzungsbeschlüssen aus dem Jahr 2012 jeweils ein der Zulässigkeit des Vereinfachten Verfahrens durchgreifend entgegenstehender fortwirkender Unterhaltstitel vor.
Im Übrigen erscheine es nach Auffassung des OLG Celle bereits fraglich, ob auch nur das Ende der sich aus dem alten Titel ergebenden Ansprüche des Landes hinreichend eindeutig feststellbar sei, um eine unstreitig unzulässige Inzidententscheidung über die Vollstreckbarkeit im neuen Fest-setzungsverfahren auszuschließen. Der Zeitpunkt des Erreichens der 72monatigen Anspruchshöchstdauer, aus der sich der Wegfall des
Anspruchs des Landes ergebe, sei nämlich aus dem Titel selbst nicht feststellbar, sondern bedürfe bereits gesonderter Feststellung außerhalb des Titels.
III. Der Praxistipp
Tatsächlich handelt es sich bei der vorliegenden Konstellation um ein Detailproblem, welches sich aus der Änderung der Rechtslage hinsichtlich der Leistungshöchstdauer nach dem UVG ergibt.
Die Relevanz für den Praktiker ergibt sich in Zusammenschau mit der Entscheidung des BGH, Beschl. v. 23.9.2010 – XII ZB 62/14, in der sich der Bundesgerichtshof im Rahmen des bestehenden Meinungsstreits der Ansicht anschloss, welche alleine auf die Prozessökonomie abstellt, indem ein weiteres neues Erkenntnisverfahren für nicht erforderlich erachtet wird. Dieser Ansatz überzeugt auch im Hinblick auf die Systematik des Voll-streckungsrechts, schließlich darf das Land nach Einstellung der Vorschussleistunge nicht mehr aus dem Titel vollstrecken, da der Anspruchs-übergang tatsächlich die Unterhaltsvorschussleistungen voraussetzt. Im Übrigen spricht für die analoge Anwendung des § 727 ZPO, dass sich der Unterhaltsverpflichtete gemäß §§ 120 Abs. 1 FamFG, 767 Abs. 2 ZPO gegen eine doppelte Inanspruchnahme zur
Wehr setzen kann, insofern entsteht ihm kein Nachteil.
Vor diesem Hintergrund ist diese dargestellte Entscheidung für den Praktiker insbesondere interessant, soweit gegen seinen Mandanten durch das Land als Anspruchsinhaber Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden.