OLG Zweibrücken: nachträgl. Erhöhung eines bezifferten Unterhaltsrückstandes

20. Juli 2023

1. Zum Eingreifen der Schutzwirkung des § 1613 Abs. 1 BGB im Fall der nachträglichen Erhöhung eines bezifferten rückständigen Unterhaltsanspruchs, wenn die vom Unterhaltspflichtigen auf Anforderung des Unterhaltsberechtigten erteilte – erstmalige – Auskunft unvollständig war.

2. Die Vorschrift des § 1613 Abs. 1 BGB steht einer rückwirkenden Erhöhung nicht entgegen, wenn der zur Auskunft verpflichtete Unterhaltspflichtige unter Verletzung einer dahingehenden Offenlegungspflicht den Erhalt einer Abfindungszahlung seines früheren Arbeitgebers verschwiegen hatte und der Unterhaltsberechtigte bei erstmaliger Bezifferung darauf hingewiesen hat, über die Bedingungen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Kenntnis zu haben.

3. Bei dieser Sachlage ist dem Unterhaltsschuldner die Berufung auf die Schutzwirkung des § 1613 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens verwehrt.

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 7.6.2022 – 2 WF 97/22

I. Der Fall

Über die Anträge der Antragstellerin, ihr für die gestellten Anträge Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, hat das Familiengericht erneut zu entscheiden. Hierbei darf es die Versagung von Verfahrenskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht darauf stützen, die Antragstellerin sei gemäß § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB gehindert, aufgrund der Einbeziehung der dem Antragsgegner von seinem früheren Arbeitgeber in 01/2018 gezahlten Abfindung in Höhe von netto 71.395,43 EUR in die Unterhaltsbemessung für die Zeit ab 11/2019 einen über die ursprüngliche Bezifferung mit Antragsschrift (monatlich 268,00 EUR bis 06/2020, monatlich 353,00 EUR ab 07/2020) hinausgehenden Unterhaltsbetrag zu verlangen.

II. Die Entscheidung

Hat – wie hier – der Unterhaltsberechtigte seinen Unterhaltsanspruch bereits beziffert, nachdem er zunächst von dem Unterhaltspflichtigen Auskunft gem. § 1613 Abs. 1 BGB begehrt hatte, so kann er nicht rückwirkend einen höheren Unterhalt verlangen, wenn der Unterhaltspflichtige bei der erstmals erfolgten Bezifferung nicht mit einer Erhöhung zu rechnen brauchte. Grundsätzlich braucht der Unterhaltspflichtige nämlich nur noch mit einer Inanspruchnahme in der bezifferten Höhe zu rechnen. Vor dem Risiko unkalkulierbar angewachsener Rückstände, die bei einer nachträglichen Erhöhung des bereits bezifferten Anspruchs entstehen können, soll er durch § 1613 geschützt sein. Auf diesen Schutz kann sich der Antragsgegner vorliegend jedoch nicht berufen, weil er auf das an seinen Verfahrensbevollmächtigten gerichtete erstmalige Auskunftsbegehren der Antragstellerin seiner Auskunftspflicht nicht vollständig nachkam – vielmehr unter Verletzung seiner dahingehenden Offenlegungspflicht den Erhalt der Abfindungszahlung verschwieg – und die Antragstellerin in der Antragsschrift darauf hingewiesen hat, keine Kenntnisse darüber zu haben, zu welchen Bedingungen das langjährige Arbeitsverhältnis des Antragsgegners beendet wurde. Bei dieser Sachlage musste der anwaltlich vertretene Antragsgegner damit rechnen, die Antragstellerin werde nach durch das Familiengericht mit Beschluss angeordneter Auskunftserteilung über den Erhalt der Abfindung rückwirkend, bezogen auf den Zeitpunkt des Auskunftsverlangens, unter Einbeziehung der Abfindung in die Unterhaltsbemessung einen auch deutlich höheren Unterhalt verlangen.

Mit Blick auf die nachhaltige Verletzung der gegenüber der Antragstellerin bestehenden Offenlegungspflicht hinsichtlich des Erhalts der Abfindung stellt sich die Berufung auf die Schutzwirkung des § 1613 Abs. 1 BGB als rechtsmissbräuchlich dar und ist dem Antragsgegner auch unter diesem Gesichtspunkt verwehrt (§ 242 BGB). Dies macht die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde zu Recht geltend.

Mit Blick auf die nachhaltige Verletzung der gegenüber der Antragstellerin bestehenden Offenlegungspflicht hinsichtlich des Erhalts der Abfindung stellt sich die Berufung auf die Schutzwirkung des § 1613 Abs. 1 BGB als rechtsmissbräuchlich dar und ist dem Antragsgegner auch unter diesem Gesichtspunkt verwehrt (§ 242 BGB). Dies macht die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde zu Recht geltend.