AG Singen, Urteil vom 19.12.2019, 1 C 156/19

19. April 2021

 

Leitsätze (des Einsenders)

Zur Erstattung von notwendigen Anwaltskosten als Schadensersatz wegen Vertragspflichtverletzung durch eine Bank, wenn die Bank durch eine vertragswidrige Verweigerungshaltung eine wirksame Vorsorgevollmacht nicht akzeptiert und die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts veranlasst.

Eine Vorsorgevollmacht, die dem Zweck dient, die Bestellung eines rechtlichen Betreuers zu vermeiden, bedarf nach § 167 Abs. 2 BGB grundsätzlich keiner Form.

Tenor:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 1.952,55 Euro zu bezahlen nebst Zinsen für das Jahr in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15. August 2019.
  2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten wegen Vertragspflichtverletzung Zahlung von 1.952,55 Euro an Schadensersatz.

Die Klägerin ist seit Jahrzehnten Kundin der Beklagten. Bei ihr hatten sie und ihr verstorbener Ehemann u.a. Sparguthaben. An Weihnachten 2010 erteilte die Klägerin, damals noch vollkommen gesund und uneingeschränkt geschäftsfähig, ihrem einzigen Abkömmling, P. Z. (im folgenden: der Sohn), unter Verwendung eines Musters des Bundesministeriums der Justiz eine Vorsorgevollmacht (Anl., AS 93). In der Folgezeit erkrankte die Klägerin an Demenz, durch die sie ihre Geschäftsfähigkeit einbüßte. Im Jahr 2014 holte der Sohn die Klägerin zu sich und besorgte ihr einen Platz in einem nahegelegenen Pflegeheim. Fortan kümmerte er sich in vollem Umfang vorbildlich um die Klägerin.

Spätestens seit September 2018 bemühte sich die Klägerin, vertreten durch den mit der schriftlichen Vorsorgevollmacht versehenen Sohn, vergeblich darum, über bei der Beklagten angelegte Sparguthaben in Höhe von etwa 78.000 Euro zu verfügen. Die Beklagte ließ die Vorsorgevollmacht nicht gegen sich gelten.

Um die Bedenken der Beklagten gegen die Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht auszuräumen, schrieb der Sohn als Bevollmächtigter der Klägerin an den Vorstandsvorsitzenden der Beklagten (Schreiben vom 13. September 2018 und 12. April 2019, Anl., AS 89, 69), an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Schreiben vom 24. September 2018, Anl., AS 85), an das Vorstandsreferat sowie an den Verwaltungsratsvorsitzenden der Beklagten (Schreiben vom 12. April 2019, Anl., AS 71, 67). Die Beklagte hielt an ihrer Auffassung fest und erklärte wiederholt, die Vorsorgevollmacht schon mangels öffentlicher Unterschriftsbeglaubigung nicht als wirksam anerkennen zu können (Schreiben vom 11. Oktober 2018, Anl., AS 81; s.a. Schreiben vom 25. April 2019, Anl., AS 65; ferner Schreiben des Verwaltungsratsvorsitzenden vom 13. Mai 2019, Anl., AS 51, sowie Schreiben des Vorstandsreferates vom 17. Mai 2019, Anl., AS 49). Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht erklärte in ihrer Antwort vom 21. November 2018 (Anl., AS 73), hier nicht weiterhelfen zu können, und gab dem Sohn das an die Bundesanstalt gerichtete Schreiben der Beklagten vom 31. Oktober 2018 zur Kenntnis. Darin führte die Beklagte an, es sei ihr auch kein Beschluss vorgelegt worden, durch den ein Amtsgericht – Betreuungsgericht – entschieden habe, wegen der Vorsorgevollmacht bedürfe es nicht der Einrichtung einer Betreuung für die Klägerin (Schreiben vom 31. Oktober 2018, Anl., AS 77).

Daraufhin beauftragte der Sohn als Vorsorgebevollmächtigter der Klägerin die Rechtsanwälte Dr. S. und D., K., ihn gegenüber der Beklagten zu vertreten und sie dazu zu bringen, ihn als verfügungsberechtigt anzuerkennen und ihm nicht länger zu verwehren, über die Sparguthaben zu verfügen (s. Anwaltsvollmacht vom 30. April 2019, Anl., AS 63). Rechtsanwalt Dr. S. richtete sodann am 3. Mai 2019 ein erstes Schreiben in diesem Sinne und mit dieser Zielrichtung an die Beklagte (Anl., AS 57). Im Weiteren überließ Rechtsanwalt Dr. S. der Beklagten eine Erklärung der Schwiegertochter der Klägerin vom 26. Mai 2019, in der es heißt, sie, die Schwiegertochter, könne bestätigen, dass die Klägerin das vollständig ausgefüllte Vollmachtsformular damals durchgesehen, verstanden und unterschrieben habe. Auch sei die Klägerin damals im Vollbesitz ihrer Kräfte und – nach Einschätzung der Schwiegertochter – uneingeschränkt geschäftsfähig gewesen (Anl., AS 47). Ferner übersandte er der Beklagten ein von ihm veranlasstes Schreiben des Amtsgerichts Memmingen, Geschäftsstelle der Abteilung für Betreuungssachen, vom 17. Juni 2019. Darin findet sich der Hinweis, die gesetzliche Konzeption des BGB schreibe eine Formvorschrift oder Beglaubigung von Vorsorgevollmachten nicht vor und es fehle an der Erforderlichkeit einer Betreuung im Sinne des § 1896 BGB, soweit eine Vollmacht erteilt worden sei (Anl., AS 41).

Die Beklagte erklärte schließlich mit Schreiben vom 28. Juni 2019, an der bisherigen Rechtsauffassung festzuhalten. Gleichwohl sei sie ohne Anerkennung einer Rechtspflicht aus Kulanz bereit, den Sohn über das Vermögen der Klägerin verfügen zu lassen (Anl., AS 35).

Die mit anwaltlichem Schreiben der Klägervertreter vom 1. Juli 2019 an die Beklagte gerichtete Aufforderung, sich bis zum 11. Juli 2019 bereitzuerklären, für die durch die Beauftragung der Rechtsanwälte entstandenen Kosten aufzukommen (Anl., AS 33), wies die Beklagte am 11. Juli 2019 zurück (Anl., AS 31). Eine bezifferte Zahlungsaufforderung der Klägervertreter vom 15. Juli 2019, verbunden mit einer Fristsetzung bis zum 25. Juli 2019 (Anl., AS 27), blieb ohne Erfolg.

Die Klägerin, vertreten durch ihren Sohn, hat die ihr von den Klägervertretern mit Schreiben vom 26. Juli 2019 in Rechnung gestellten Gebühren in Höhe von 1.952,55 Euro am 5. August 2019 bezahlt. Dieser Betrag entspricht 1,6 Geschäftsgebühren aus einem Gegenstandswert von 38.000 Euro nebst Post- und Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer.

Die Klägerin macht geltend, darin, dass die Beklagte die von der Klägerin ihrem Sohn erteilte Vorsorgevollmacht nicht habe gegen sich gelten lassen, liege eine vertragliche Pflichtverletzung. Um ihre Rechtsposition gegenüber der Beklagten erfolgreich durchzusetzen, habe sich die Klägerin anwaltlicher Hilfe bedient. Was die Vorsorgevollmacht angehe, habe es im gegebenen Fall keinerlei Ungereimtheiten gegeben, die Zweifel an deren Wirksamkeit hätten wecken können. Der Ansatz von 1,6 Geschäftsgebühren aus einem Gegenstandswert von 38.000 Euro sei nicht zu beanstanden.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.952,55 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 15.08.2019 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie wendet ein, die dem Sohn erteilte Vorsorgevollmacht sei nicht rechtswirksam. Trotz Verwendung der Mustervollmacht des Bundesministeriums der Justiz blieben Zweifel an der Echtheit und Wirksamkeit der Vollmacht. Diese Zweifel ließen sich durch notarielle Beurkundung oder wenigstens öffentliche Beglaubigung der Unterschriften der Klägerin und. ihres Sohnes überwinden. Auch das Bundesministerium der Justiz weise darauf hin, dass Kreditinstitute die Wirksamkeit einer Vollmacht besonders streng prüften. Im Übrigen könnten an Honorar für die anwaltliche Tätigkeit keine 1,6 Geschäftsgebühren angesetzt werden. Auch der Gegenstandswert erscheine als übersetzt. Er dürfte richtigerweise lediglich 30 % bis 50 % des Betrages entsprechen, den die Klägervertreter angesetzt hätten.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. Dezember 2019 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

II.

Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten Anspruch auf Zahlung von 1.952,55 Euro. Dieser Anspruch ergibt sich aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 249 Abs. 1 BGB.

An der Wirksamkeit der von der Klägerin ihrem Sohn erteilten Vorsorgevollmacht besteht kein Zweifel. Insbesondere bedarf die Vorsorgevollmacht, die dem Zweck dient, die Bestellung eines rechtlichen Betreuers zu vermeiden, grundsätzlich keiner Form (s. § 167 Abs. 2 BGB; vgl. Palandt/Götz, BGB, 79. Aufl. 2020, Rn. 5 vor § 1896; Palandt/Ellenberger, § 167 BGB Rn. 2). Im gegebenen Fall ein vorgedrucktes Muster verwendet zu haben, das unterschiedliche Punkte umfasst, die durch Ankreuzen von Ja- und Nein-Feldern ein- und ausgeschlossen werden können, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Beklagte weiß keine konkreten Umstände anzuführen, die Anhaltspunkte für die inhaltliche Unrichtigkeit der Urkunde, für deren Unechtheit oder für einen Missbrauch der Vollmacht geben könnten.

Indem die Beklagte der durch ihren Sohn vertretenen Klägerin über etwa zehn Monate hinweg das Recht verwehrt hat, über das bei der Beklagten angelegte Sparvermögen zu verfügen, hat sie sich vertragswidrig verhalten. Für ihre Forderung nach einer öffentlichen Beglaubigung der Unterschriften gibt es ebensowenig eine Rechtsgrundlage wie für ihr Verlangen danach, durch das für die Klägerin örtlich zuständige Amtsgericht – Betreuungsgericht – mittels eines die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung ablehnenden Beschlusses inzident die Wirksamkeit und das Genügen der Vorsorgevollmacht bestätigt zu bekommen.

Der der Klägerin aus der vertragswidrigen Verweigerungshaltung entstandene Vermögensschaden liegt in dem Aufwand, der ihr daraus entstanden ist, sich zum Zwecke der Rechtsverfolgung anwaltlicher Hilfe zu bedienen. Dieser Schritt ist angesichts der ebenso unermüdlichen wie erfolglosen Bemühungen des bis zuletzt von der Beklagten im Verhältnis zu ihr als vollmacht- und damit als rechtlos behandelten Sohnes angemessen und sachgerecht gewesen.

Der Ansatz von 1,6 Geschäftsgebühren als Rahmengebühren nach § 14 Abs. 1 RVG, Ziff. 2300 VV RVG, begegnet keinen Bedenken: So war bereits einiges an Vorkorrespondenz mit ganz unterschiedlichen Adressaten (Sachbearbeiter, Vorstandsvorsitzender, Vorstandssekretariat, Verwaltungsratsvorsitzender) angefallen, bevor die Rechtsanwälte mit der Sache befasst worden sind. All dies war zu studieren und zu würdigen. Vor allem aber haben die Klägervertreter auf dieser Grundlage eine umfangreiche Tätigkeit entfaltet. So schrieben sie nicht nur wiederholt an die Beklagte, sondern wandten sich sogar eigens an das Amtsgericht – Betreuungsgericht – Memmingen (Schreiben vom 27. Mai 2019, Anl. AS 43) und veranlassten zuvor die Schwiegertochter der Klägerin, sich schriftlich zum Zustandekommen der Vorsorgevollmacht zu erklären (Schreiben vom 26. Mai 2019, Anl., AS 47).

Auch der Ansatz von 38.000 Euro als Gegenstandswert erscheint als allemal gerechtfertigt. Der Streit um die Wirksamkeit der Vollmacht lässt sich nicht, wie von der Beklagten vertreten, im Sinne einer bloß untergeordneten Vorfrage auf einen Bruchteil des Hauptsacheinteresses kleinrechnen. Denn die Beklagte hat zwar nicht das bei ihr angelegte Sparvermögen der Klägerin in Abrede gestellt. Doch hat sie ihr, indem sie deren Vertretung durch den Sohn nicht hat gelten lassen, de facto dauernd verwehrt, über das Sparvermögen zu verfügen. Das Interesse daran, die Vorsorgevollmacht als wirksam behandelt zu sehen, ist darum dem Hauptsacheinteresse als dem Interesse, über das eigene Sparvermögen verfügen zu können, sehr weit angenähert. Es gilt insoweit nichts anderes als für ein Begehren, das auf die Freigabe eines Guthabens gerichtet ist und für das als Gegenstandswert der volle Betrag der Geldforderung angesetzt wird (vgl. nur Anders/Gehle, Streitwert-Lexikon, 3. Aufl. 1998, S. 134, Stichwort „Freigabe“).

Der Anspruch auf die Verzugszinsen ergibt sich aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 709 ZPO.